von Marco Heibel
Nach wie vor kommt kaum ein Ratgeberbuch zu den Themen Laufen, Radsport, Triathlon oder Fitness ohne eine Erläuterung des Modells der Superkompensation aus. Dieses Phänomen wird üblicherweise mit einer Kurve dargestellt, die zunächst nach unten abfällt, sich dann regeneriert, über das Ausgangsniveau hinaus geht und anschließend wieder langsam abfällt.
In Worten gestaltet sich das Ganze wie folgt: Der Sportler setzt einen Reiz, welcher zur Ermüdung führt. Der Körper wird dadurch quasi in einen Alarmzustand versetzt und wappnet sich für den Fall, dass er einem solchen Reiz noch einmal ausgesetzt wird. Als Konsequenz wird der Sportler kurzfristig leistungsfähiger. Setzt er nun weitere Reize in der richtigen Intensität und im richtigen Abstand, bewirkt dies einen konstanten Formanstieg. Das besagt zumindest die Theorie.
So entstand das Modell der Superkompensation
Das Superkompensationsmodell geht zurück auf den Russen Nikolai Jakowlew. Der konnte im Jahr 1977 an Ratten nachweisen, dass Muskel- und Leberglykogenspeicher nach einer intensiven Belastung und anschließenden Regenerationsphase größer werden. Jakowlew nannte dieses Phänomen Superkompensation. An der Stichhaltigkeit seiner Forschungsarbeit und seiner Übertragbarkeit auf den Menschen besteht kein Zweifel. Mehr oder weniger bewusst habt Ihr Euch vermutlich auch schon einmal Jakowlews Erkenntnisse zu Nutze gemacht: beim Carboloading vor einem Wettkampf.
Fehlinterpretation des Superkompensationsmodells
Das Superkompensationsmodell fand nicht zuletzt wegen seiner Anschaulichkeit großen Anklang. Einige Sportwissenschaftler übertrugen es in der Folge pauschal auf den gesamten Trainingsprozess, also auch auf die Anpassung der Muskelkraft oder der Ausdauerleistung. Dadurch veranschaulichten sie sich (und anderen) den Zusammenhang von Ermüdung und Formzuwachs. Auch eine plötzlich sinkende Formkurve hatte nun eine klar benennbare Ursache: Die Reizdichte bzw. -intensität war schlicht und einfach falsch gewählt. Diese Erklärungen fanden viele Anhänger, das Modell verbreitete sich immer weiter.
Der Haken ist allerdings, dass eine Erhöhung des Ausgangsniveaus im Sinne der Superkompensation bislang nicht für muskuläre oder biochemische Anpassungen nachwiesen werden konnte, sondern ausschließlich für die Energiespeicher (s. Jakowlew). Und genau hier setzt die Kritik an, die seit ein paar Jahren von renommierten Sport- und Trainingswissenschaftlern (u.a. Hottenrott, Neumann) geübt wird. Sie sagen, dass das Superkompensationsmodell nach dieser Auslegung unerfüllbare oder gar falsche Erwartungen weckt und somit ein schlechter Ratgeber ist.
Die Argumente der Kritiker:
- Das Superkompensationsmodell liefert keine objektiven Messgrößen.
- Es unterscheidet weder nach Geschlecht noch nach Alter oder Trainingszustand.
- Das Superkompensationsmodell liefert keinen zeitlichen Bezugspunkt. Es erklärt nicht, wann der nächste Reiz gesetzt werden muss und wie intensiv er sein sollte.
- Das Superkompensationsmodell liefert keinen zeitlichen Bezugspunkt. Es erklärt nicht, wann der nächste Reiz gesetzt werden muss und wie intensiv er sein sollte.
- Denkt man das Modell zu Ende, müsste man bei optimal gesetzten Reizen im richtigen Abstand seine Leistungsfähigkeit bis ins Unendliche schrauben können. Dem menschlichen Körper sind jedoch natürliche Grenzen gesetzt.
- Der Körper braucht unterschiedlich lange, um sich zu erholen. Der schnelle Energielieferant Kreatinphosphat etwa regeneriert sich binnen weniger Minuten, während die Glykogenspeicher mehrere Stunden benötigen. Bei den Muskelzellen kann die Regeneration je nach Belastung und Trainingszustand sogar mehrere Tage oder Wochen in Anspruch nehmen. Kurzum: Es sind zu viele Faktoren zu berücksichtigen, als dass man von dem optimalen Zeitpunkt für den nächsten Trainingsreiz sprechen könnte. Das jedoch suggeriert das Superkompensationsmodell.
Fazit
Wer kein Profisportler ist und nicht permanent unter sportmedizinischer Betreuung steht, muss wohl akzeptieren, dass ein gezielter Formaufbau eine „Wissenschaft“ ist. Leistungszuwächse folgen keinem linearen Gesetz und lassen sich auch nicht so einfach erklären, wie das Superkompensationsmodell suggeriert. Dafür laufen nach heutigen Erkenntnissen im Körper einfach zu viele Prozesse gleichzeitig ab, die sich gegenseitig beeinflussen.
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Es wäre mir auch egal, wenn mir jemand sagen würde, dass es so nicht funktionieren kann.
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Es stimmt schon, dass das Modell der Superkompensation schon einige Zeit lang kritisiert wird und Sportwissenschaftler berechtigte Einwände haben.
Ich bin aber der Überzeugung, dass es für 99% aller Sportler völlig irrelevant ist, so lange nicht neue Erkenntnisse so in die Breite transportiert werden können das sie auch von einem durschnittlichen Sportler verstanden und umgesetzt werden können.
Bis es soweit ist, müssen sich die Wissenschaftler damit abfinden, dass ihr kritisiertes Modell für den "Hausgebrauch" sehr gut funktioniert. Denn das Schema der SK ist eingängig und für den durchschnittlich informierten Sportler sehr nachvollziehbar und entspricht den alltäglichen Erfahrungen. Ob mir dann jemand sagt, dass das unter dem Mikroskop betrachtet gar nicht so funktionieren kann, kann ich vielleicht glauben, ist mir dann aber leidlich egal.
Auf der anderen Seite gibt es zwar biologische Mechanismen die für alle Menschen gelten, deren Spannweite durch individuelle Faktoren allerdings so gross ist das es da schwer wird von sehr generellen Aussagen zu individuellen zu kommen. Selbst über die Supplementierung von Kreatin, welches soweit ich weiss mit 1001 Studie bearbeitet wurde, herrscht auch noch immer keine Einigkeit.
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